Konzertjahr 2012
Unsere Chor- und Orchesterarbeit im Jahr 2012 war einem Wort aus der Offenbarung Jesu Christi gewidmet:
"Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben." (Offenbarung 2, aus 10)
Gemäß diesem Bibelzitat sind die Kompositionen des ersten Programmblocks so zusammengestellt, dass die Motive Treue und Krone aus verschiedenen, sich ergänzenden Blickwinkeln beleuchtet werden.Die Krönungsmesse von Wolfgang Amadeus Mozart (KV 317) intensiviert die Sinnlinie des ersten Programmblocks in aufführungsgeschichtlicher, kompositorischer und theologischer Hinsicht:
Die autographe Partitur dieser Messe wurde vom Komponisten mit "li 23 marzo 1779" datiert. Dies legt die Vermutung nahe, dass das Werk erstmals am 4. oder 5. April 1779 zu einem der beiden Osterfeiertage im Salzburger Dom erklang. Bereits im 19. Jahrhundert wurde die Komposition immer öfter mit dem Beinamen "Krönungsmesse" belegt, da sie mit hoher Wahrscheinlichkeit anlässlich der Krönungsfeierlichkeiten für den österreichischen Kaiser Leopold II. (September 1791) oder für dessen Nachfolger Franz I. (August 1792) aufgeführt wurde.
Es ist jedoch nicht nur diese politische Funktion als höfischkirchliche Repräsentationsmusik des österreichischen Hochadels, die den Namen "Krönungsmesse" rechtfertigt. Zusammen mit ihrem Schwesterwerk, der im Januar 1780 vollendeten "Missa solemnis" (KV 337) übertrifft die Krönungsmesse ihre 14 Salzburger Vorgängerinnen kompositorisch bei weitem und 'krönt' auf diese Weise das Messenschaffen Mozarts. Der kompositorische Reichtum der Krönungsmesse ist insofern umso bemerkenswerter, als Mozart während seiner Salzburger Zeit im Gegensatz zu den Jahren in Wien noch nicht sein 'eigener künstlerischer Herr' war: Sein Salzburger Brotherr, Erzbischof Hieronymus Colloredo, insistierte (ganz im Sinne der von Papst Benedikt XIV. am 19. Februar 1749 veröffentlichten Enzyklika über die Kirchenmusik) auf den Typus der "Missa brevis", so dass sich Mozart immer wieder gezwungen sah, die Freiheit und Fülle seiner musikalischen Gedanken dem bischöflichen Gebot der Kürze unterzuordnen und obendrein Einschränkungen des Instrumentariums zu akzeptieren; Pauken und Trompeten durften nur an hohen kirchlichen Feiertagen Verwendung finden.
Trotz dieser kleingeistigen Zensur durch den katholischen Klerus erhebt sich die Krönungsmesse in ihrer melodischen Schönheit, in ihrer kontrapunktischen Meister-schaft und in ihrer symphonischen Durchstrukturierung geradezu schwerelos über die kirchenmusikalischen 'Niederungen' ihrer Entstehungszeit. Die melodische Schönheit entfaltet sich bereits nach den vier einleitenden "Kyrie"-Anrufungen des Chores in den dialogisierenden Linien von Solo-Sopran und Solo-Tenor. Die Partien der Solisten entwickeln jedoch nicht nur eine unmittelbar zu Herzen gehende ariose 'Strahlkraft', sondern sind aus satztechnischer Sicht Thema und Kontrapunkt zugleich: Bereits einen halben Takt nach dem Beginn des Sopran-Solos erklingt das Gesangsthema als Engführung in der Oboe, zehn Takte später sind Tenor- und Sopran-Solo in gleicher Weise kunstvoll miteinander verwoben. Es würde den Rahmen dieser Programmerläuterung sprengen, wollte man auch nur ansatzweise weitere melodische Höhepunkte ("Agnus Dei"!) oder kontrapunktische Verdichtungen (imitatorisch gestaltete Chorabschnitte im "Gloria" und im "Credo"!) zur Sprache bringen.
Gebündelt und überhöht werden Melodik und Kontrapunktik durch ihre Einbindung in eine quasi symphonische Struktur. Dabei kommt besonders dem Reprisengedanken der Sonatenhauptsatzform eine wichtige Rolle zu. Ebenso wie Exposition und Reprise in vielen Symphoniesätzen die 'Widerlager' bilden, über die sich der 'Brückenbogen' der Sonatenhauptsatzform spannt, so muten die oben erwähnten "Kyrie"-Soli des Messenbeginns und ihre Reprise bei der Vertonung der abschließenden "Dona nobis pacem"-Bitte wie markante 'Eckpfeiler' an, die das mäch-tige 'Gewölbe' der gesamten Messe tragen. Die Idee der Reprise verknüpft nicht nur den Anfang und den Schluss der Messe, sondern zum Teil auch die Binnensätze. Die Takte 16-23 und Schlusstakte 32-46 des "Sanctus" werden im "Benedictus" wiederholt (Takte 61 ff. und 84 ff.), so dass sich eine satzübergreifende AB-CBCB-Form ergibt. Im "Gloria" findet sich eine satzinterne Reprise: Teil A mit der Tonartendispo-sition einer klassischen Exposition (Takte 1-77, Chor in der Haupttonart C-Dur und solistisches Seitenthema in der Dominanttonart G-Dur), Teil B mit der harmonischen 'Dramatik' einer Durchführung (Takte 78-134, g-moll, f-moll und c-moll als tonale 'Zentren') und Teil A' mit der Tonartenfolge einer klassischen Reprise (Takte 135-198, Chor und solistisches Seitenthema in der Haupttonart C-Dur). Das "Credo" schließlich weist eine doppelte Reprise des Teils A auf, so dass sich die Rondoform A(Takte 1-59)-B(Takte 60-71)-A'(Takte 72-95)-C(Takte 96-113)-A''(Takte 114-151) ergibt, wobei der Teil B (Menschwerdung und Kreuzigung Christi) mit seiner ausdrucksstarken Harmonik und der abschließende Teil A'' (Bekenntnis zu der einen, heiligen, allgemeinenen und apostolischen Kirche) mit seiner kontrapunktischen Verdichtung besonders herausragen.
Wie eingangs erwähnt, sind zum Verständnis der Krönungsmesse neben den aufführungsgeschichtlichen und kompositorischen Aspekten kurze Hinweise zur 'theologischen Botschaft' der Krönungsmesse unerlässlich. Sie verlieh nicht nur Krönungsfeierlichkeiten ein unvergleichliches musikalisches Gewicht, sie krönt nicht nur kompositorisch das Messenschaffen Mozarts, sondern gibt mit ihren ehrwürdigen, Jahrhunderte alten Texten wertvolle Hinweise, wie sich jene Treue konkret beweisen lässt, die Jesus Christus laut Offenbarung 2, 10 mit der Krone des Lebens belohnen wird. Wer diese Krone aus der Hand Christi empfängt,
- hat sich zuvor wie der Zöllner im Tempel (Lukas 18, 10-14) immer wieder in seiner Sündhaftigkeit erkannt und mit den Worten Kyrie - "Gott sei mir Sünder gnädig" seine Hoffnung ganz auf die Gnade Gottes gesetzt (vgl. auch 1. Petrus 1, 13 und 5, 5f.).
- hat zuvor wie der Psalmist David trotz aller Sorgen das Gotteslob nicht ver-vergessen und den 103. Psalm mit Leben gefüllt: Gloria - "Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen [...] der dich krönet[!] mit Gnade und Barmherzigkeit [...]".
- hat zuvor immer wieder seinen Glauben bekannt und vor allem seines Glaubens gelebt, denn "ohne Glauben ist's unmöglich, Gott zu gefallen" (Hebräer 11, 6). Credo - Das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel, welches der Krönungsmesse als Textgrundlage dient, entfacht zusammen mit Mozarts mitreißender Musik ein Feuer der Begeisterung für die Heilsgewissheit, die in der einen, heiligen, allgemeinen und apostolischen Kirche erfahrbar ist.
- hat zuvor den Rat des Apostels Petrus befolgt: "Heiligt aber den Herrn Christus in euren Herzen." (1. Petrus 3, 15) Gerade in einer Zeit, in der Jesus Christus allzu gern mit pseudointellektueller Attitüde zum Philosophen, Fami-lientherapeuten etc. reduziert und somit auf eine Stufe mit anderen, zweifellos bedeutenden Menschen gestellt wird, sollte nicht vergessen werden, dass er Menschensohn und Gottessohn zugleich ist und in seiner Einzigartigkeit nicht angetastet werden darf. Es bleibt dabei: Sanctus - heilig sind Vater, Sohn und Geist.
- hat zuvor den kommenden Sohn Gottes in dem Bewusstsein erwartet: "Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!" (Matthäus 21, 9; Benedictus qui venit in nomine Domini. Hosanna in excelsis.) Im Gegensatz zu dem Geschehen zwischen Palmsonntag und Karfreitag, aus dem dieses Bibelwort entnommen ist, endet das Warten der Braut Christi auf den seine Verheißung (Johannes 14, 3) einlösenden Bräutigam Jesus auch dann nicht, wenn Gottes Handeln unsere persönlichen Erwar-tungen zuweilen enttäuscht. Von solchen Enttäuschungen bleibt die Sehnsucht nach der Wiederkunft des Sohnes Gottes unberührt, und für glaubende Hörerinnen und Hörer gibt es kaum einen schöneren musikalischen Ausdruck dieser Sehnsucht als das "Benedictus" aus der Krönungsmesse, welches anmutet wie ein Jesus Christus gewidmetes Liebeslied.
- hat zuvor die Gottesdienste in dem festen Glauben besucht, dass Jesus "Gottes Lamm [ist], das der Welt [und damit auch unsere persönliche] Sünde trägt" (Johannes 1, 29). Agnus Dei, qui tollis peccata mundi - das ist das Fundament der Sündenvergebung und des Heiligen Abendmahls; beides schenkt den Frieden des Auferstandenen (dona nobis pacem) und ist unerlässlich, um die eschatologische Krönung des Abendmahls zu erleben, die Apostel Johannes mit den Worten umschreibt: "Lasst uns freuen und fröhlich sein und ihm die Ehre geben, denn die Hochzeit des Lammes ist gekommen, und seine Braut hat sich bereitet. [...] Selig sind, die zum Hochzeitsmahl des Lammes berufen sind." (Offenbarung 19, 7 und 9)
Programm 2012
- David Hermann Engel (1816-1877): Sei getreu bis an den Tod (CLS I, 364)
- Johann Sebastian Bach (1685-1750): Gott ist und bleibt getreu (CLS I, 57)
- Ludwig van Beethoven (1770-1827): Gott, deine Güte reicht so weit (CLS I, 154)
- Johann Sebastian Bach (1685-1750): Wachet auf, ruft uns die Stimme (CLS I, 318)
- traditional: Good News
- Johann Sebastian Bach (1685-1750): Auf, auf, ihr Gotteskinder (Text GB 420, Satz siehe Sonderblatt)
- Melodie bei Friedrich Layritz 1853 / Satz von Klaus Michael Fruth (geb. 1940): Sehn wir uns wohl einmal wieder (GB 422)
- Hermann Ober (1926-2006): Und endlich kommt der letzte Tag (CLS I, 282)
- Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791): Kirchensonate in C-Dur (KV 329)
- Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791): Krönungsmesse in C-Dur (KV 317)